Ein Sonntagnachmittag in Kasan: Vier Gänge, zwei Familien und eine bleibende Erinnerung

Sonntagnachmittag, bedeckter Himmel, gedeckter Tisch. Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches – dass „eine Kleinigkeit zum Essen“ in Wahrheit ein viergängiges, üppiges Menü meint, scheint in Russland ja normal. Was war es nun, was diesen Herbstmittag zu so etwas Besonderem für mich machte?

Nun ja, zwei Welten, die sonst in meinem Kopf nebeneinander, aber stets getrennt voneinander existierten, trafen plötzlich in der Realität aufeinander: Links von mir die russische Gastfamilie, bei der ich im Jahr zuvor bereits für vier Wochen in Kasan gewohnt hatte; rechts von mir meine Eltern, die mich für ein paar Tage in meinem Auslandssemester in Russland besuchten.

Zwar wohnte ich in diesem Jahr im Studentenwohnheim, war aber regelmäßig zu Besuch in der Wohnung, in der meine Gastfamilie mich und meine noch ausbaufähigen Sprachkenntnisse damals empfangen und für einen Monat aufgenommen hatte. Als dann feststand, dass meine Eltern und damit ein Stück Heimat mich während meinem zweiten Aufenthalt in Kasan besuchen wollten, war klar, dass es ein Treffen der beiden Familien geben sollte.

Da Gastfreundschaft in Russland sehr groß geschrieben wird, kam ein Restaurantbesuch in der Stadt für meine Gastfamilie absolut nicht in Frage – viel lieber sollten wir am Sonntagnachmittag doch auf „eine Kleinigkeit zum Essen“ vorbeikommen. Dass es nicht bei einer Kleinigkeit blieb, muss ich an dieser Stelle wohl nicht nochmal sagen, oder? Trotz mehrfachem Betonen, dass wir nicht hungrig kommen würden und keine Umstände machen wollten, wurde wieder mal ordentlich aufgetischt und an nichts gespart.*

Und so saßen wir nun am gedeckten Tisch, im Hintergrund der Fernseher, der wie so oft ununterbrochen lief. Vor uns mehrere Gerichte und natürlich Tee. Alles musste probiert werden, egal ob noch hungrig oder längst viel zu satt. Die Sprachbarriere schien dabei plötzlich ziemlich egal – Freundschaft scheint wie Liebe wohl auch durch den Magen zu gehen. Zwischendurch bemühten sich beide Seiten immer mal wieder um ein paar Worte auf Russisch bzw. Deutsch und für alles Weitere hatten wir unsere „persönliche Dolmetscherin“ dabei (meine Mitbewohnerin im Studentenwohnheim, die beide Sprachen fließend spricht).

Während gegenseitige Fragen nach der Politik im jeweils anderen Land eher oberflächlich und etwas verlegen beantwortet oder weggelächelt wurden, amüsierten sich unsere Gastgeber umso mehr darüber, dass meine Eltern beim Hotelfrühstück in Kasan Brötchen vermissten und mit dem russischen Porridge aka Kascha erst mal wenig anfangen konnten. Die Verwunderung darüber wurde direkt im Anschluss zusammen mit den Fotos, die wir zur Erinnerung gemacht hatten, fleißig auf Instagram geteilt und belustigte scheinbar auch die Freunde und Bekannten der Gastfamilie sehr. Und auch meine Eltern berichteten zurück in Deutschland mehr als einmal und ziemlich stolz von ihrem Nachmittag in der russischen Gastfamilie.

Dass die beiden Familien sich zuvor noch nie begegnet waren und ein Wiedersehen noch lange auf sich warten lassen könnte, schien nebensächlich. Was zählte, waren ein paar schöne Stunden, die uns mit einer Mischung aus vertraut und fremd einen kurzen Einblick in das Leben der anderen erhaschen ließen und mit vielen Umarmungen und guten Wünschen endeten.

*Wer mehr über die russische Küche erfahren und sehen will, was wir davon kürzlich nachgekocht haben, einmal hier entlang.

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